Architekt Conrad Messner hat mit seinem Architekturbüro DIN A4 den Wettbewerb für die Gestaltung des Neubaus der TIROLER VERSICHERUNG gewonnen. Im Interview erzählt er, was nachhaltiges Bauen ausmacht.
Bauen mit Weitblick
Was ist nachhaltiges Bauen?
CONRAD MESSNER: Für mich bedeutet nachhaltig bauen, nicht auf den schnellen Effekt zu setzen, sondern etwas langfristig und vorausschauend zu planen. Das beginnt eigentlich schon beim Miteinanderarbeiten, intern und auch mit externen Firmen. Es ist extrem spannend, auch den Mitarbeiter*innen am Bau zuzuhören und zu fragen, was ihre Vorschläge wären. Da kann man sehr viel lernen, und das ist für mich im weitesten Sinn auch Nachhaltigkeit. Respekt und auf Augenhöhe miteinander umzugehen ist etwas, das immer ganz leicht gesagt wird, das ist aber das Um und Auf und da liegt sehr viel Potenzial. Schlussendlich ist es aber die Gesamtheit aus den Faktoren Raum, Material bzw. Technik und Mensch, die Nachhaltigkeit ausmacht.
Wie wichtig ist das Thema in der Branche?
Es kommt immer darauf an, welche Bauherr*innen man hat. Wir haben das Glück, dass wir seit 30 Jahren immer wieder Kund*innen finden, für die Nachhaltigkeit selbstverständlich ist. Oder sie finden uns. Und auch für viele Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, ist das inzwischen eine Selbstverständlichkeit.
Was hat sich seit Ihren Anfängen als Architekt in dieser Hinsicht verändert?
Gerade bei größeren Projekten hat sich das Bewusstsein stark geändert. Meilensteinprojekte für uns waren das Lodenareal vor 15 Jahren, das damals die größte Passivhaus-Wohnanlage Europas war. Dann das Justizzentrum in Korneuburg, für das wir den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit gewonnen haben. Das war vor zehn Jahren, und damals war die Ukrainekrise schon ein Thema mit den Gaslieferungen, deshalb konnten wir den Bund bzw. das Justizministerium davon überzeugen, das erste Mal einen Bau ohne fossile Energie umzusetzen. Nachhaltig ist oft vorrangig rein ökologisch gesehen, aber wir waren damals schon der Meinung, dass man sich von nichtdemokratischen Ländern unabhängig machen sollte, und daraus resultierte das erste Passivhaus des Bundes. Inzwischen ist das Standard.
Hat eine nachhaltige Bauweise Grenzen?
Wenn man Nachhaltigkeit nur an einem bestimmten Material festmacht, dann ja. Aber für uns ist es nachhaltig, wenn man ein Projekt über einen gesamten Lebenszyklus sieht und auslotet, ob es mehr Sinn macht, etwas Bestehendes umzustrukturieren oder etwas Neues zu bauen. Das ist von Mal zu Mal anders. Im Prinzip ist jedes Projekt ein Prototyp, man nimmt immer die Erfahrungen aus dem letzten Bau mit und versucht, sich stetig zu verbessern.
Nachhaltig bauen hat oft den Ruf, teurer zu sein als eine konventionelle Bauweise. Stimmt das?
Nur wenn man es so sieht, dass nachhaltiges Bauen nur bis zur Fertigstellung geht. Aber nachhaltiges Bauen bedeutet ja, das Bauvorhaben über den gesamten Lebenszyklus zu sehen, auch die Auswirkungen auf die Umwelt einzubeziehen und zum Beispiel in einem Bürogebäude Mitarbeiter*innen ein angenehmes Umfeld zu bieten. Dann ist Nachhaltigkeit per se nicht teurer, sondern im Idealfall günstiger.
Was ist für Sie das Spannendste am nachhaltigen Ansatz?
Es ist persönlich einfach zufriedenstellend und es ist ein Privileg, sich im Beruf immer weiterzuentwickeln und neue Herausforderungen meistern zu können. Bei der TIROLER VERSICHERUNG zum Beispiel gehen wir einen neuen Weg – beim Holzbau in dieser Größenordnung gibt es in Österreich im innerstädtischen Bereich wenig Vergleichbares. Das ist schon sehr viel Pionierarbeit, die man mit allen zusammen leistet, und das macht es extrem spannend.
Was macht Holz zu einem interessanten Baumaterial?
Das Spannende ist, dass ich im Vorfeld ganz andere Überlegungen anstellen muss als beim Betonbau. Als Beispiel: Wir haben bei der TIROLER VERSICHERUNG eine Ecksituation, die etwa einen halben Grad vom rechten Winkel abweicht. Im Betonbau ist das überhaupt kein Problem, weil sowieso alles vor Ort vermessen wird. Im Holzbau ist das logistisch ein enormer Aufwand, weil jeder Sparren einen dreiviertel Millimeter kürzer und jede einzelne Platte leicht schräg sein müsste. Deshalb ist es notwendig, leicht zu überbauen, um einen rechten Winkel zu bekommen. Und man kann auf der Baustelle nicht mehr improvisieren, weil man sonst in die Konstruktion eingreift. Es muss im Vorfeld jedes einzelne Detail bis zur letzten Schraube komplett geklärt sein, da gibt es später keinen Spielraum mehr.
Hat die Verwendung von Holz die Planung hinsichtlich der Prävention von beispielsweise Leitungswasserschäden und Feuer komplizierter gemacht?
Ja, das hat es auf jeden Fall komplexer gemacht. Wir haben zum Beispiel geschoßweise jeweils zusätzliche horizontale Abdichtungen, damit ein Wasserschaden sich nicht in die unteren Geschoße ausbreiten kann, und wir nutzen Feuchtefühler im Holz, um frühestmöglich herauszufinden, wenn Schäden im Anmarsch sind. Aber Wasserschäden sind auch bei konventionellen Gebäuden ein Problem. Und natürlich ist der Brandschutz ein Riesenthema bei Holz, aber wenn man sich diesem annimmt, kann der Holzbau sogar hilfreich sein.
Inwiefern?
Als Beispiel: Wir haben bei allen Treppenhäusern eine vorgelagerte Schleuse mit einer Druckbelüftung, um zu vermeiden, dass sich im Brandfall die Treppenhäuser mit Rauch füllen. Dieses Problem gibt es auch beim konventionellen Bau, aber bei einem Holzbau ist man sich dieser Brandschutzthematik besonders bewusst und setzt andere Maßnahmen. Wir haben ein Konzept erstellt, das nicht nur den primären Schutzbedürfnissen genügt. Man sieht oft Brandschutztüren, die mit Keilen offen gehalten werden, aber offen bringen die gar nichts. Da vertreten wir den Ansatz, dass auch in der täglichen Verwendung der Schutz gegeben sein muss.
Welche Rolle spielen die begrünte Fassade und die Photovoltaikanlagen im Entwurf?Bei der begrünten Fassade gibt es zwei Überlegungen: Einmal geht es um die Verdunstung durch die Pflanzen. Je mehr verdunstet, desto mehr kühlt die Luft ab. Bei den Fenstern sind 60 Prozent Fixverglasung und 40 Prozent ein öffenbarer Fensterflügel – genau davor ist die grüne Fassade, die ein Filter für die staubige Stadtluft ist, aber eben gleichzeitig die gekühlte Verdunstungsluft reinbringt und so wie eine natürliche Klimaanlage funktioniert. Bei der PV-Anlage hat sich wieder viel getan und wir schauen aktuell, dass wir da vielleicht noch mal nachjustieren und die PV-Anlage nicht aufgesetzt wird, sondern ein integraler Bestandteil der Fassade wird.
Vielen Dank für das
Gespräch.
Interview: Lisa Schwarzenauer